“Çillo”, so nennt sich Kazým Serin, der Autor des Gedichtbandes in euren Händen. Er wurde im Dorf Çikhasan in Çorum/Anatolien geboren. Zur Zeit studiert er Maschinenbau an der Ruhr-Universität Bochum. Man stockt hier für einen Moment. Einerseits Maschinen, Motoren, andererseits Gedichte. Aber für diese Reaktion gibt es keinen Grund. Wäre es denn besser, wenn er eine Akademie für Literaturwissenschaften besuchen würde? Meistens kommen Dichter nicht von dort, vielmehr kommen sie aus Bereichen wie der Veterinärmedizin.
Viele meinen, Dichter zu sein sei eine Gottesgabe. Ich sage es ist eine Leidenschaft. Mit Begeisterung beginnt es, dann wird es zur Überzeugung. Durch Lesen, Schreiben, durch das Leben wird man bewußter, sammelt Erfahrungen. Eines Tages sieht man, wie schön man schreibt. Wie unser Freund Kazým Serin. Er gibt sein erstes Buch heraus.
Ich war natürlich glücklich, als er mich wegen des Vorworts anrief. Aber als ich seine Gedichte gelesen hatte, fragte ich mich: “Warum findet er mein Vorwort nötig? Braucht er etwa Krücken?”. Ich war verunsichert, zögerte. Nein, er gibt nicht auf. Anscheinend hat er mir gegenüber eine besondere Achtung, und ein besonderes Vertrauen. Ich ging zu den Tagen zurück, als ich mein erstes Buch herausgab. Ich kenne die Ungeduld, diese wachsende Ungeduld, man findet keinen richtigen Schlaf. Am Ende hat man seine Gedichte zu einem Buch zusammengefaßt, möchte veröffentlichen, - nur wird jemand einen Blick darauf werfen? Wird es verstanden, wird es geliebt werden?
Am Anfang ist es ein großer Wunsch der Dichter, verstanden, geliebt zu werden. Sie verrichten ihre schöne Arbeit mit Elan, mit der Zeit bewußter, eifriger, mit der Kraft ihrer Erfahrungen. Sie überwinden sich selbst. Im Innern möchten sie immer noch verstanden, geliebt werden, aber jetzt wollen sie ihre Leser beeindrucken. Sie wollen Menschen für Liebe, Frieden, Solidarität gewinnen. Sie wollen alle, die ihre Stimme erreicht, zu großer Menschlichkeit einladen.
Meiner Meinung nach hat unser Freund Kazým Serin jetzt schon diesen Weg eingeschlagen. Seine Sprache ist rein, wie das Fließen des Wassers, wie das Zwitschern der Vögel. Die sprießende Zwiebel in seiner Küche erinnert ihn an sein Dorf. Er träumt von der Gartenzwiebel und vom Frischkäse. Ach, meine Seele möchte sie mit Brot essen. In der Fremde kann er sein Dorf in seinen Gedanken nicht löschen. Durch das Wehen des Windes berühren sich die Äste der Pappeln. Er erinnert sich an die losgelassene Büffelherde. “Auf den Dreschplätzen, die Reste des Strohs, nah ist die Weinlese”, sagt er. Obwohl er sich mit Maschinen beschäftigt; für uns ein Mensch mit zusammengezogenen Augenbrauen, ernster Miene, sind die in ihm vor sich gehenden Gedanken und Empfindungen für die Menschen bestimmt. Er stirbt durch Sehnsüchte. Können solche starken Wünsche mit solch einfachen Wörtern beschrieben werden? Er schreibt mit zufällig gewählten Wörtern, welche alle kennen, die sie im Alltag benutzen. Manchmal findet er ein neues Wort, sagt z.B. “yeþilti”. Er liebt den Wind sehr. Durch Wehen bringt der Wind Gerüche aus seinem Dorf an seine Nase. Er denkt daran beim Arbeiten an den Maschinen. Seine Gedichte schreibt er mit kurzen Sätzen. Es kommt vor, daß er anstatt Zeilen ein einzelnes Wort benutzt. Manchmal besteht seine Zeile nur aus einem Wort. Aber es ist offensichtlich, er nimmt die Sache nicht von der leichten Seite. Ich sagte ja, jeder wird ihn verstehen, durch Verstehen ihn lieben. Erwartet seine neue Gedichte, neue Gedichtbände.
Schreibt Kazým Serin nur über seine Sehnsüchte? Nein, er ist ein für gesellschaftliche Probleme offener Dichter. Wie bei vielen Dichtern sind die Probleme der Menschen auch seine Sorgen. Er stößt auch an die politischen Probleme. Er erwähnt die Schmerzen, die Streitigkeiten. Ich glaube er hat seine Vorbereitungen getroffen. Er ist zur Reife gekommen, jetzt kommt die Ernte. In Kazým Serins Zukunft sehe ich das Aufleuchten.
Mein Vertrauen ist sowohl für die Dichtung, als auch für die Dichter groß. Ich weiß, ich irre mich nicht. Wenn wir keine Dichter hätten, was wäre mit uns? Schön, daß es sie gibt, - sie wird es immer geben. Schön, daß es Dich gibt Kazým Serin, Mein Bruder Çillo. Dieses Wunschschreiben möchte ich mit dem beenden, was ich bereits wo anders schrieb:
Dein Weg sei offen, wie es der Weg des Gedichtes ohnehin ist.
Duisburg, 4.2.1997Fakir Baykurt.