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ISBN 06 – 350 Jahre Westfälischer Frieden – Vorwort

Es ist erstaunlich, ein Ereigniss, das noch vor wenigen Jahrzehnten Historiker, Kulturschaffende und Politiker inspirierte, findet heute nur noch ein sehr begrenztes Interesse. Schiller, Brecht, Lessing beschäftigten sich ebenso wie Generationen von Historikern mit dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648.
Was macht das Thema auch heute noch in unserer schnelllebigen Zeit interessant, um Schlußfolgerungen, Parallelen oder auch Fremdes kennenzulernen?
Da ist zunächst das häßliche Gesicht des Krieges: Mord, Totschlag, Raub und Plünderungen. Im „großen Krieg“ von 1618 bis 1648 ist dieses Gesicht besonders hervorgetreten. Zwar haben sich die Methoden und Techniken verfeinert, doch ist dieses häßliche Gesicht des Krieges bis heute geblieben. Es steht im krassen Gegensatz zu den „tapferen und treuen Soldaten“ dem „deutschen Soldatentum“ das in diesem Jahrhundert immer wieder bemüht wurde, das nichts mit der Realität auf den Schlachtfeldern gemein hatte.
Die Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit des II. Weltkrieges, des Hitler-Faschismus und der Massenverbrechen verbietet Vergleiche, mag jedoch zur Erklärung dienen, warum das vorliegende Thema heute nicht mehr die Bedeutung früherer Jahrzehnte hat.
Der Westfälische Frieden ist der erste Verhandlungsfrieden der Neuzeit, besitzt als solches auch gerade für die Friedensbewegung eine besondere Bedeutung. Der Dreißigjährige Krieg lässt sich mit vielen heutigen kriegerischen Auseinandersetzungen vergleichen, auch und insbesondere mit den Auseinandersetzungen auf dem Balkan. Insoweit ist die Auseinandersetzung mit dem Westfälischen Frieden wichtig, um heutige Auseinandersetzungen verstehen und bewerten zu können.
Die Autoren der Texte dieses Buches haben sich aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeiten mit der Geschichte des Westfälischen Friedens beschäftigt. Was das vorliegende Buch prägt, ist eine zusammengefasste Darstellung der Ereignisse um den Krieg und den Frieden vor 350 Jahren aus der Sicht verschiedener Generationen. Der sozialdemokratische Historiker Franz Mehring schrieb seinen Teil zum Dreißigjährigen Krieg 1910 noch am Vorabend des I. Weltkrieges. Dieser und auch der schreckliche II. Weltkrieg waren schon vorbei, als Carl Dittrich in der kommunistischen Tageszeitung seinen Aufsatz schrieb, während sich der dritte Autor sozusagen am Vorabend des neuen Jahrtausends dem Thema zuwandte. Die historischen Analysen von Dittrich und Mehring bieten gerade wegen ihrer historischen Distanz ein interessantes Bild des Dreißigjährigen Krieges. Der Text des Herausgebers ergänzt vor allem die Bezüge zur Rhein-Ruhr-Region und liefert weiteres historische Material. Sie stellen gemeinsam ökonomische Ursachen, Gegensätze von Klassen, gesellschaftliche Widersprüche ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Im Gegensatz zu anderen, die einzelne Kriegsereignisse, Kaiser, Fürsten und Heerführer oder ausschließlich den Kampf der Konfessionen in den Mittelpunkt stellen.
Mit den literarischen Texten können und wollen wir keinen kompletten Literaturüberblick zum Dreißigjährigen Krieg geben, sondern wir wollten Schlaglichter auf die unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit der Geschichte bieten. Die ausgewählten Gedichte und Textzeilen verdeutlichen die große Wirkung des Dreißigjährigen Krieges auf die schreibende und darstellende Kunst. Im Versuch der Verbindung von beidem liegt der besonderer Reiz des vorliegenden Buches, das, wie zu hoffen ist, anregt, sich vertiefend dem Fundus der Quellen zuzuwenden.
In der neuesten Bewertung des Kriegsausgangs und des Westfälischen Friedens wird dessen europäische Bedeutung hervorgehoben. Es wird von einer ersten „europäischen Friedensordnung“ gesprochen. Das mag sich aus heutiger Sicht „modern“ anhören, ist aber nicht legitim, weil die Ereignisse aus der damaligen Zeit herausgelöst werden. Was einen in der Tat der bedeutendensten Friedensschlüsse ermöglichte, waren nicht europäische Visionen, sondern die unterschiedlichsten politischen, ökonomischen, religiösen Machtinteressen, die sich in Koalitionen verbanden. So wurden die Sieger des Krieges auch die Gewinner des Friedensschlusses, aber: von regionalen Auseinandersetzungen abgesehen, wurde ein Friede geschlossen, der den ersten europäischen Krieg beendete.
Es ist auch „modern“ geworden, im Ergebnis des Friedens die Wurzeln des „spezifischen deutschen Förderalismus“ zu sehen. Damit soll wohl aus der Not eine Tugend gemacht werden. Der Förderalismus, nach 1945 von den Allierten „verordnet“, soll so nachträglich eine tiefe geschichtliche Verwurzelung finden. Dabei ist der Förderalismus als eine der Schlußfolgerungen aus der jüngsten deutschen Geschichte doch gut begründet.
Was die Entwicklung nach 1648 in Deutschland am meisten hemmte und weshalb es so enorm zurückgeworfen wurde, ist die weitgehende Abkopplung von progressiven Entwicklungen in der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft. Wissenschaft, Forschung, Bauwesen, die Künste, Technik wurden von den Siegern angezogen. Während sich in Holland, England und Frankreich neue Produktionsmethoden, neue politische Denkansätze entwickelten, verfestigten sich in Deutschland die alten. Für die Ruhrregion hieß das Stillstand, der große Aufstieg konnte so erst zweihundert Jahre später infolge der industriellen Revolution, die in England ihren Ausgang nahm, erfolgen.
Was in diesem Buch zudem versucht wird, ist die Zusammenfassung der damaligen Ereignisse auf den Bereich des Ruhrgebietes und seiner näheren Umgebung. Es wäre zu hoffen, dass gerade dieser Anstoß von weiteren Historikern und Forschern aufgegriffen und weitergeführt wird.

Verlag und Herausgeber*in