Das vorliegende Buch beleuchtet die Abwehr des Kapp-Putsches und die Märzrevolution 1920 aus der lokalen Erforschung für das mittlere Ruhrgebiet. Dies war notwendig, da dieser Teil bisher wenig Beachtung fand. Dass dies ein Nachteil in der bisherigen Historiographie ist, wird aus den Darstellungen, in der Reihe Kapp-Putsch und Märzrevolution 1920 vorgelegt wird, deutlich. Anhand dieser lokalen Erforschung sind weitere Diskussionen zu diesem Thema wünschenswert. So zum Beispiel die Frage, wo, wann und wodurch der bewaffnete Kampf gegen den Putsch begann. Die ersten bewaffneten Auseinandersetzungen gab es in Heiligenhaus, Velbert, Kamen/Unna. Ursache für diese frühen Kämpfe war die offene militärische Präsenz und die Waffen- und Truppentransporte der Reichswehr ins Ruhrgebiet und Bergische Land.
Bei der Frage, wie die Kämpfe und die Rote Armee entstanden, muss die Bedeutung der Region Bochum/Witten/Hagen hervorgehoben und gegebenenfalls neu bewertet werden. Vielfach wird die These vertreten, dass der bewaffnete Kampf von Dortmund aus in das gesamte Rhein-Ruhrgebiet getragen wurde. Aber: Es waren die Bochumer, Wittener und Hagener Arbeiterwehren, die schon am 13./14. März gegründet worden waren, die in Wetter und Herdecke die ersten militärischen Siege über die Reichswehrtruppen errangen und wesentlich an der Zerschlagung des Freikorps Lichtschlag in Dortmund beteiligt waren.
Von Bedeutung ist ebenfalss, das Rheinisch-Westfälische Industriegebiet als Gesamtgebiet zu sehen. Rotarmisten aus Bochum, Dortmund, Herne, Hagen und Hattingen waren an den Kämpfen in Remscheid ebenso beteiligt wie Kämpfer aus dem Bergischen Land in Essen und Duisburg. An der Lippe kämpften und starben Angehörige der Roten Armee aus Düsseldorf, Barmen, Lüdenscheid, Velbert und Solingen. Deshalb ist der Begriff ‘Rote Ruhrarmee’ unzutreffend, vielmehr sollte von der Roten Armee gesprochen werden, die sowohl aus dem Bergischen und Märkischen Land, dem Rheinland und dem Ruhrgebiet gespeist wurde.
Zu den Punkten, die noch zu erforschen sind, gehört auch die Rolle der Frauen in diesen politischen Kämpfen. Sie unterstützten nicht nur die Rote Armee dadurch, dass sie sich als Arbeitersamariterinnen (Sanitäterinnen) beteiligten oder in den Küchen für die nötige Verpflegung sorgten, sondern sie übernahmen auch Kurierdienste, waren in Kampfleitungen und bei Arbeiterräten im Schreibdienst und der Nachrichtenübermittlung tätig. Sie hielten das Familienleben aufrecht, während die Männer streikten oder kämpften. Amelie Schaumann in Mülheim und Frau Wiemann in Velbert waren auch in Aktionsausschüssen tätig. Berta und Luise Borowski aus Gladbeck wurden vom Kriegsgericht zu monatelangen Gefängnisstrafen verurteilt wegen der „Beihilfe zum Aufruhr”. In Wattenscheid berief die USPD eine Frauen-Mitgliederversammlung ein.(1) Die Darstellung der Tätigkeit der Frauen während der Märzrevolution 1920 ist auch deshalb notwendig, weil ihre Beteiligung an den Kämpfen bis heute von großen Diffamierungen begleitet wird. Dabei waren es gerade auch Frauen, die 1920 Opfer von Reichswehrsoldaten wurden, die in unglaublicher Weise Verbrechen an ihnen verübten. Verbrechen, die nie gesühnt wurden.
Die Kämpfe im Rahmen der Märzrevolution waren auch ein Medienereignis. Zahlreiche Zeitungsjournalisten und Fotografen berichteten zum Teil in eindrucksvollen Berichten von den Ereignissen und der Roten Armee. In den Rathäusern gaben Vertreter der Arbeiterräte Interviews. Beim Bundesarchiv in Koblenz existiert sogar ein Filmstreifen der Wochenschau, der eine Dortmunder Gruppe der Roten Armee bei einem Marsch an die Lippe zeigt (Siehe Foto).
Ein übles Kapitel ist der umfassende Einsatz von Spitzeln und Agenten durch die Reichswehr, das noch weitgehend nicht geschrieben ist.
Fest steht aber, dass die Spitzel und Denunzianten der Reichswehr mehrere hundert Kämpfer der Roten Armee, aber auch vielfach Unbeteiligte ans Messer geliefert haben.
Auch die Mechanismen, die Organisations- und Sozialstrukturen des Kampfes gegen den Kapp-Putsch sowie der Märzrevolution sind vielfach nur ungenügend beleuchtet. Fragen, wie sie Theo Gaudig in einer Arbeit zur Revolution aufgeworfen hat, gilt es zu beantworten. Als Anregung zur weiteren Diskussion soll er deshalb am Schluss dieses Vorwortes zu uns sprechen:
„Erstaunlich bleibt die ungeheure politische Aktivität der Arbeiterschaft in diesen Monaten, das unermüdliche Interesse an Versammlungen und Demonstrationen.
Erstaunlich bleibt, dass diese Generation das System der Ausbeutung und Unterdrückung nicht mehr ertragen wollte, welches ihre Eltern und Großeltern ihr Leben lang erduldeten.
Erstaunlich bleibt das enorme Anwachsen von Klassenbewusstsein, selbst bei Arbeitern, die sich bisher nicht davon berührt fühlten.
Erstaunlich bleibt die Opferbereitschaft, denn streiken war kein Vergnügen. Streiken bedeutete Entbehrung und Hunger. Die Opferbereitschaft ging aber weiter, die Arbeiter waren bereit, ihr Leben zu opfern für ihre Ziele.
Erstaunlich bleibt weiter das Auftauchen von Rednern und Führungspersönlichkeiten, die Tage vorher niemand kannte und die nachher vergessen wurden. Was wurde aus ihren Vorstellungen, aus ihren Idealen?”(2)
Zuletzt gilt es Dank zu sagen den vielen, die einen Beitrag am Zustandekommen dieser Arbeit geleistet haben. Dankbar bin ich auch für zahlreiche Hinweise, vielfältige Diskussionen zu diesem Thema und Einladungen zu Veranstaltungen nach der Herstellung der 1. Auflage 2010. Nicht vergessen werden sollen auch die Korrekturleser*innen, oder diejenigen, die einen Beitrag zur Finanzierung dieses Projektes geleistet haben.
Günter Gleising
(1) Lucas, Erhard: Märzrevolution 1920, in drei Bänden, Bd. III, S. 385. Rhefus, Reiner: Spurensicherung 1920, Essen 2000, S.41. Wattenscheider Zeitung 7.5.1920
(2) Gaudig, Theo: Achtzehn Monate Revolution und Gegenrevolution in Essen. Eine Chronik der Ereignisse von November 1918 bis April 1920, Essen 1986