Düsseldorf, im Februar 2014
Liebe Frau Heying,
„es wird nach einem Happyend im Film gewöhnlich abgeblendt”, schrieb der alte Tucholsky.
Wir trafen uns öfter in der Zeit der Vorbereitung für dieses Buch. Es war immer eine angenehme Atmosphäre und ich als Zulieferantin habe es genossen. Einmal erzählten Sie, dass Ihre Mitstudierenden sagten: „Du schreibst ja eine Liebesgeschichte” und Sie antworteten: „Sogar mit ‘Happy-End”.
Ich, als Ergebnis dieses „Happy-Endes”, fand diesen Aspekt zuerst befremdlich. Aber es stimmt, die Zuchthausbriefe sind auch Liebesbriefe. Dass die Briefe auch ein Geschichtsdokument sind und beschreiben, wie eine alleinstehende Mutter und Kommunistin sich in der Nazizeit ums Überleben kümmern musste, habe ich früher aus den Briefen, die ich allerdings nur bruchstückhaft las, nicht herausgefunden. Sie haben es gut herausgearbeitet. Für mich waren es Briefe der Sehnsucht, der Sehnsucht nach einem besseren Leben, und des sich gegenseitigen Mutmachens.
Der ersten kleinen Karte ins Zuchthaus, nachdem die beantragte Todesstrafe in lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt wurde, legte meine Mutter einen Tannenzweig bei. „Lebenslänglich ist auch vergänglich”, sagte sie. Das simple Lied: „Oh, Tannenbaum ...” hatte für meine Mutter immer eine tiefere Bedeutung. Die Zeile: „die Hoffnung und Beständigkeit gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit” sang sie mit der gleichen Inbrunst wie manches Arbeiterlied. Leider wurde dieser Text wieder aktuell, als wir 1959 ohne Vater Weihnachten feierten. Karl Schabrod wurde noch drei Mal in der Zeit der Adenauerregierung verhaftet. In der Anklageschrift von 1959 wird zwar seine Verfolgung in der Nazizeit respektiert, aber, so hieß es: er hätte wohl nicht begriffen, dass er jetzt in einem anderen Staat lebe. Natürlich wusste mein Vater, dass er in einem anderen Staat lebte, schließlich hatte er an der Verfassung von NRW im Landtag aktiv mitgearbeitet. Aber gerade nach der Erfahrung des 3. Reiches waren meine Eltern gegen eine Wiederbewaffnung, gegen das Neuerstarken der Konzerne und gegen Nazis in einflussreichen Ämtern. Es ist keine Ironie der Geschichte, sondern eine bewusste Demütigung, als meinem Vater mit dem Gerichtsurteil die Verfolgtenrente aberkannt wurde.
So sah es bei uns nach dem „Happy-End” aus. Die Zeit des Kalten Krieges wird noch immer gerne ausgeblendet. Nur bruchstückhaft gibt es einzelne Veröffentlichungen. Es wird Zeit, dass die Geschichte weitergeschrieben wird.
Ich weiß nicht, ob ich hier in diesem Brief an Sie von Ihrem Traum schreiben darf? Eines Tages sagten Sie zu mir, Sie haben geträumt, jemand hätte eine Doktorarbeit über meinen Vater geschrieben. Mich hat es sehr gefreut, wie sehr Sie sich in das Thema hereingearbeitet haben.
Es bedarf schon eines großen Geschickes und Geschichtskenntnisse, um auch zwischen den Zeilen lesen zu können. So schrieb mein Vater nach der Hitlerrede vom 30. Januar 1942, die über Radio alle Häftlinge des Zuchthauses im Zentralbau zu hören bekamen: „Es war einfach herrlich!” ... und er meinte sicherlich nicht die Rede. Wenn er es auch anders beschrieb. „Du kannst Dir gar nicht ausmalen, wie nach fast 9 Jahren isolierten Lebens ein solches Gemeinschaftserlebnis ist”. Nach neun Jahren Isolierung mit allen Häftlingen in einem Raum zu sein und in die Gesichter einiger Genossen sehen zu dürfen, das bedeutete für ihn ein nachempfindsames Hochgefühl.
Ich danke Ihnen sehr für die präzise und lesenswerte Ausarbeitung und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre geschichtlichen Recherchen und für Ihren persönlichen weiteren Lebensweg.
Ihre Klara Tuchscherer
PS: Ich arbeite übrigens in einem Arbeitskreis „Kinder des Widerstandes – Antifaschismus als Aufgabe” mit, als Zeitzeugin der Zeitzeugen, damit die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät oder umgedeutet wird. Wir wollen dem antifaschistischen Kampf ein persönliches Gesicht geben, zeigen, was Widerstand, Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Terror für den einzelnen Menschen und dessen Familie bedeutete. Und zwar vor wie nach 1945.
Unseren Flyer kann man unter www.nrw.vvn-bda.de –Aktuelles– einsehen.